Nürnberger Nachrichten  10.05.1996

Bunte Lebkuchen und makabre Relikte

Zwischen Sinnlichkeit und Hintersinn: Eine Ausstellung mit Arbeiten von vier Kölner Malern und Plastikern im Nürnberger Kunsthaus

Das Image der Kunst-Stadt hört zu Köln wie der weltberühmte Kölner Dom, wie Karneval, Kölsch und "Halve Hahn". Daß Kunst aus Köln nicht nur aus dem besteht, was diverse Museen und ungezählte noble Galerien in der Rhein-Metropole dafür halten, möchte eine Ausstellung im Nürnberger Kunsthaus belegen. Auf Einladung der Fachgruppe "Kunst" der Industriegewerkschaft Medien Nürnberg zeigen vier von deren Kölner Kolleginnen und Kollegen ihre aktuellen Arbeiten unter dem Motto "Köln Transit Nürnberg". Im Anschluß werden dann Kunst-Gewerkschafter aus Nürnberg im Kölner Kunsthaus "Rhenania" gastieren.

Eine Versammlung rheinischer Frohnaturen ist die Ausstellung in Nürnberg mit Sicherheit nicht, aber ein gerüttelt Maß barocker Sinnlichkeit darf der Betrachter allemal genießen. Anna-Maria Baar, einst Studentin des realistischen Malers Dieter Krämer, bietet Reize von sehr vielschichtiger Art. Üppige Torten, Pudding-Formen mit Sahne-Dekoration und riesige Elisen-Lebkuchen hat Baar in Bonbon-Farben gemalt oder aus schaumigen, cremigen Materialien geformt.

Der besondere Gag dabei ist, daß die Künstlerin alle ihre Süßigkeiten als Symbole des Geschlechtlichen interpretiert: Mann und Frau als Zuckerstückchen, bei deren Genuß man sich durchaus auch den Magen verderben kann.

Wo Sinnenfreude ist, da ist im katholischen Köln das "Memento mori" nicht weit. Ingo Terrumanum hat in den Kellergewölben des Kunsthauses ein merkwürdiges Bein-Haus installiert. Aus dunkler Erde (vom Kirchhof?) hat der Künstler Objekte geformt, die entfernt an menschliche Gliedmaßen, an herausgeschnittene Herzen und abgetrennte Köpfe erinnern.

Diese makabren Relikte hängen an Drähten von der Katakomben-Decke, während in einer Nische Kerzen vor einem Altar brennen. Der gläserne Altar-Aufsatz enthält die Nachbildung eines menschlichen Oberschenkel-Knochens.

Abgründiges und Hintersinniges in der Nachfolge seines rheinischen Landsmannes Max Ernst hat Harry Birkofer zur Köln-Schau beigetragen. Unwirkliche Landschaften und absurde Stilleben sind seine Themen, seine Materialien sind alte Buch- und Katalogillustrationen und weggeworfenes Spielzeug, zerbrochenes Küchengerät und Möbelfragmente.

Birkofers Collagen und Assemblagen sind große Treffen: aus allen denkbaren Sphären, Dimensionen und Seelenlagen sind Geschehnisse und Dinge zusammengekommen. Das alles bewegt sich durcheinander, bedingt einander, reizt einander.

Sinnlich ist junge Kölner Kunst sogar dann, wenn der Ansatz auf den ersten Blick eher nüchtern konstruktiv erscheint. Wolfgang Bous zeigt bestechend schöne, mehr oder minder geometrisch abstrakte Eitempera-Malereien auf Holztafeln sowie bemalte Boden- und Wandobjekte aus großen Brettern, Klötzen und anderen Bauholz-Abfällen.

Bernd Zachow



Textauswahl nächster Text